Die Eule und der Engel

Das vierteilige Filmprogramm, kuratiert von Eugene Yiu Nam Cheung, ist Teil des öffentlichen Begleitprogramms der aktuellen Ausstellung Offerings for Escalante von Enzo Camacho & Ami Lien, und findet zweiwöchentlich am Dienstagabend jeweils um 19 Uhr statt. 

Teil 1, 7. Mai 2024

Paloma Polo, What is thought in the thought of people (2015)
Concerned Artists of the Philippines, unter der Regie von Mike de Leon, Signos (1984)
+ Enzo Camacho & Ami Lien im Gespräch mit Eugene Yiu Nam Cheung

 

Teil 2, 21. Mai 2024

Assia Djebar, La Nouba des Femmes du Mont Chenoua (1977)

 

Teil 3, 4. Juni 2024

Tracey Moffatt, Night Cries: A Rural Tragedy (1990)
Claire Denis, White Material (2009)

 

Teil 4, 18. Juni 2024

Layaly Badr, The Road to Palestine (1985)
AsiaVisions, Arrogance of Power (1983)
Ariella Aïsha Azoulay, Civil Alliance: Palestine, 47–48 (2012)

„Sowohl die Hegelsche Eule als auch der Benjaminsche Engel blicken auf die Vergangenheit zurück; sie sind die Tiere des Rückblicks… Die erste will verstehen, die Zeit in der Vorstellung erfassen; der zweite will die Toten erwecken. Diese beiden Figuren sehen zwar melancholisch aus, sind es aber nicht, denn in ihren psychischen Porträts lässt sich eine Art von ganz unverhohlenem Glück oder Vergnügen erkennen.“
—Oxana Timofeeva, How to love a homeland (2021), 27.

„Irgendwo in diesem Prozess verwelken die Blumen und die ganze Welt riecht nach offenen Wunden.“
—Trinh T. Minh-ha, Lovecidal: Walking with the Disappeared (2016), 1.

 

Im Mittelpunkt von Offerings for Escalante steht der Film Langit Lupa (2023/24) von Enzo Camacho und Ami Lien, der das Nachleben des Escalante-Massakers von 1985 auf der Insel Negros in den Philippinen verfolgt. Der Film verwebt eine Reihe dokumentarischer Begegnungen mit Interviews und Zeugnissen mit formalen und narratologischen Experimenten: Von den Künstlern auf Negros gesammelte Naturmaterialien werden in filmische Collagen verwandelt, die in der Art von Stan Brakhages Mothlight (1963) aufblitzen; Kinderreime werden zu Liedern des Gedenkens; und der Lauf der Zeit—d.h. die Gefahr des Vergessens—wird durch die Nachstellung von Begräbnisritualen für die Gefallenen aufgehoben. Vor dem Hintergrund des heutigen Regimes von Ferdinand Marcos Jr. und dessen Maßnahmen, diejenigen zu unterdrücken, die Zeugnis von der strukturellen Gewalt auf den Philippinen ablegen, untersucht Langit Lupa, wie das Massaker in Escalante als Bruch und Wendepunkt im kollektiven Gedächtnis der Negros-Inseln fortbesteht. Der Film stellt gleichzeitig eine revolutionäre Kultur dar, die von den Völkern am Leben erhalten wird.

In Anlehnung an Camachos und Liens Verständnis von offizieller Geschichte als Ort des Kampfes und der kritischen Auseinandersetzung ist dieses Filmprogramm auf Walter Benjamins Ideal des Künstlers aufgebaut, der an der Seite der Unterdrückten „nicht berichtet, sondern kämpft“—der „nicht die Rolle eines Zuschauers spielt, sondern aktiv in die Veränderung kollektiver materieller Bedingungen eingreift“. In diesem Programm werden Filme gezeigt, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sich Zuschauerschaft in Momenten der Katastrophe und der Ungerechtigkeit in Intervention verwandelt. Filmemacher*innen und Künstler*innen wie AsiaVisions, Ariella Aïsha Azoulay, Layaly Badr, Mike de Leon, Claire Denis, Assia Djebar, Tracey Moffatt, und Paloma Polo geben Einblicke in den Willen zur Emanzipation in geografisch weit auseinander liegenden Kämpfen gegen den Imperialismus. Die Geschichten von kolonisierten Subjekten aus Algerien, Australien, den Philippinen und Palästina sollten für unsere eigene politische Imagination und deren Umsetzung ins Handeln lehrreich sein. Bertolt Brecht schrieb: „Sobald der Mensch als Objekt erscheint, werden die kausalen Zusammenhänge entscheidend.“

Text von Eugene Yiu Nam Cheung
 

Eugene Yiu Nam Cheung ist Schriftsteller, Kulturarbeiter und Gründungsredakteur von Decolonial Hacker. Im Jahr 2023 war er Asymmetry Curatorial Fellow an der Whitechapel Gallery in London, wo er die Ausstellung Anna Mendelssohn: Speak, Poetess kuratierte. Eugene war Kurator-in-Residence bei der Delfina Foundation und gehörte zuvor zu den Kuratorenteams und den Teams für öffentliche Programme der Julia Stoschek Foundation bzw. der documenta fünfzehn. Seine Texte sind unter anderem in e-flux Criticism, Third Text, ArtReview, Griffith Review und Art+Australia erschienen. Im Jahr 2021 wurde er mit dem International Award for Art Criticism (IAAC) ausgezeichnet. Eugene hat Abschlüsse in Kunstgeschichte, Gender Studies und Recht von der University of Sydney.

Das Filmprogramm wird durch die großzügige Unterstützung der Asymmetry Art Foundation ermöglicht.

Paloma Polo
Concerned Artists of the Philippines/Mike de Leon

Paloma Polo, What is thought in the thought of people (2015)
Concerned Artists of the Philippines, unter der Regie von Mike de Leon, Signos (1984)
+ Enzo Camacho & Ami Lien im Gespräch mit Eugene Yiu Nam Cheung

Ort:
BIKINI Berlin
2nd Floor
Budapester Str. 44
10787 Berlin
(Google Maps)

 

Screening (kuratiert von Eugene Yiu Nam Cheung) und Künstlergespräch anlässlich der Ausstellung Offerings for Escalante von Enzo Camacho & Ami Lien, CCA Berlin, 2024. Fotos: Diana Pfammatter.

Paloma Polo ist Künstlerin und Forscherin und lebt in Utrecht. In ihrer Praxis untersucht sie Kameradschaft, zwischenmenschliche Beziehungen und die kritische Bewertung institutioneller Archive. Polo hat Einzelausstellungen u. a. im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, im Centro de Arte Dos de Mayo (CA2M) und in der Galerie Kurimanzutto gezeigt. Sie war in der Internationalen Ausstellung der 55. Biennale von Venedig vertreten und hat in Gruppenausstellungen u. a. im Turner Contemporary, Museo de Arte Carrillo Gil, High Line Art, Stedelijk Hertogenbosch Museum und im Frankfurter Kunstverein ausgestellt.

Mike de Leon ist Regisseur, Kameramann, Produzent und Drehbuchautor. In seinen Filmen stehen oft die Klassengegensätze, politische Absurditäten und der Wunsch nach Zugehörigkeit auf den Philippinen im Vordergrund. Er begann in den 1970er Jahren Kurzfilme zu drehen und gründete die Produktionsfirma Cinema Artist Philippines. Seit der Veröffentlichung seines ersten Spielfilms Itim (1976) gilt de Leon als einer der bedeutendsten Filmemacher der Philippinen. Zusammen mit Concerned Artists of the Philippines - einem 1983 gegründeten Zusammenschluss von Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Kulturschaffenden, die gegen das diktatorische Regime von Präsident Ferdinand Marcos arbeiteten - führte de Leon Regie bei Signos (1984).

Paloma Polo, What Is Thought in the Thought of People, 2015, Standbild. Courtesy die Künstlerin.

Concerned Artists of the Philippines, unter der Regie von Mike de Leon, Signos, 1984, Standbild. Courtesy Mike de Leon.

Assia Djebar

Assia Djebar, La Nouba des Femmes du Mont Chenoua (1977)

 

Assia Djebar, La Nouba des femmes du Mont Chenoua, 1977, Standbild. Courtesy Women Make Movies.

Assia Djebar war eine algerische Romanautorin, Dozentin, Übersetzerin und Filmemacherin. In ihrer Arbeit entwirft sie eine Genealogie der "algerischen Frau", die sich dem patriarchalischen und kolonialen Rahmen verweigert und sich außerhalb dieses Rahmens bewegt. Ihr Film La Nouba des femmes du Mont Chenoua (1977) wurde 1979 auf der Filmbiennale in Venedig mit dem Internationalen Kritikerpreis ausgezeichnet.

Tracey Moffatt
Claire Denis

Tracey Moffatt, Night Cries: A Rural Tragedy (1990)
Claire Denis, White Material (2009)

 

Tracey Moffatt ist eine Künstlerin, die in den Bereichen Fotografie, Film und Video arbeitet. Ihre Arbeiten erforschen die ineinandergreifenden Komplexitäten von Race, Geschlecht, Sexualität und Identität vor dem Hintergrund der unerbittlichen Gewalt des Kolonialismus in Australien. Ihre Filme, darunter Night Cries: A Rural Tragedy (1989) und beDevil (1993) wurden bei den Filmfestspielen in Cannes, im Dia Centre for the Arts und im National Centre for Photography in Paris gezeigt. 2017 vertrat Moffatt Australien auf der 57. Biennale von Venedig.

Claire Denis ist eine in Paris lebende Filmemacherin und eine der wichtigsten künstlerischen Stimmen des zeitgenössischen französischen Kinos. Ihre Filme befassen sich unter anderem mit den psychischen und materiellen Spuren, die der französische Kolonialismus in Westafrika hinterlassen hat, mit dem Zerfall intimer Beziehungen und dem Konflikt zwischen kultureller Verdrängung und kollektiver Erinnerung.

Tracey Moffatt, Night Cries: A Rural Tragedy, 1990, Standbild. Courtesy die Künstlerin, Roslyn Oxley9 Gallery und Ronin Films

Claire Denis, White Material, 2009, Standbild. Courtesy Why Not Productions.

Layaly Badr 
AsiaVisions
Ariella Aïsha Azoulay

Layaly Badr, The Road to Palestine (1985)
AsiaVisions, Arrogance of Power (1983)
Ariella Aïsha Azoulay, Civil Alliance: Palestine, 47–48 (2012)

 

Layaly Badr ist eine jordanische Schriftstellerin, Filmemacherin, Produzentin und Filmverleiherin palästinensischer Herkunft. Ihr Kurzfilm The Road to Palestine (1985) wurde mit dem Goldenen Lorbeer des deutschen Fernsehens, dem Preis für das beste Kinderspiel beim Tunis Arab Television Festival und dem Damascus Television Festival Pioneer Award ausgezeichnet. Auch für ihre Kinderfilme hat sie mehrere internationale Preise erhalten. Im Jahr 2024 veröffentlichte Badr ihren ersten Roman Rechts vom Herzen.

Ariella Aïsha Azoulay lehrt an der Brown University politische Theorie aus einer antikolonialen Perspektive, unter Verwendung von Fotografie und materieller Kultur. Ihre jüngsten Bücher: The Jewelers of the ummah - Potential History of The Jewish Muslim World (Verso September 2024), La resistance des bijoux (Rot-Bo-Krik, 2023) und Potential History: Unlearning Imperialism (Verso Books, 2019); ihre neuesten Filme: The world like a jewel in the hand - Unlearning Imperial Plunder II (2023), Un-documented: Unlearning Imperial Plunder I (2019); ihre letzten Ausstellungen: Errata (Fundació Antoni Tàpies, Barcelona, 2019; HKW, Berlin, 2020), und The Natural History of Rape (Berlin Biennale, 2022).

Layaly Badr, The Road to Palestine, 1985, Standbild. Courtesy die Künstlerin.

Ariella Aïsha Azoulay, Civil Alliance: Palestine, 47–48, 2012, Standbild. Courtesy die Künstlerin.