Nazanin Noori
THE ECHO OF PROTEST IS DISTANT TO THE PROTEST

Eröffnung:
11. September 2024, 18-21 Uhr

Ort:
CCA Berlin @ Kranzler X
Kurfürstendamm 20
10719 Berlin
(Google Maps)
Eingang im Hof

Öffnungszeiten:
Di.–Sa. 14-18 Uhr
Eintritt frei

19. Oktober 2024, 15 Uhr
Künstleringespräch zur Finissage: 
Nazanin Noori mit Fabian Schöneich

Nazanin Noori, THE ECHO OF PROTEST IS DISTANT TO THE PROTEST, Ausstellungsansichten, CCA Berlin, 2024. Fotos: Diana Pfammatter/CCA Berlin.

CCA Berlin freut sich, die erste Einzelausstellung der Berliner Künstlerin Nazanin Noori zu präsentieren – THE ECHO OF PROTEST IS DISTANT TO THE PROTEST. Mit einem Hintergrund in Theater, Film und experimenteller Musik verschmilzt Noori oft Klang, Raum, Skulptur und postdramatische Poesie und schafft atmosphärische Erzählungen, die die Genres Ambient Hardcore und Doom Electronics durchqueren. Die Ausstellung im Kranzler X, einem temporären Standort des CCA Berlin, zeigt eine neu produzierte immersive Rauminstallation, die sich mit der emotionalen (Im-)Mobilisierung der Öffentlichkeit und dem Spektakel des Leidens im Rahmen politischer Proteste auseinandersetzt.

THE ECHO OF PROTEST IS DISTANT TO THE PROTEST ist eine Assemblage, in der Klang, Skulptur und Text in eine theatralische Inszenierung münden – ohne Akteur*innen, aber voller Wehmut, schwarzem Humor und rohen Emotionen. Die Arbeit dramatisiert die digitale Verbreitung politischer Proteste und deren vielschichtige psychische Nachwirkungen. In einer Zeit, in der globale Revolutionen und Umwälzungen auf mundgerechte Videoschnipsel und Fernsehfragmente von Leid und Hoffnung reduziert werden, zerfällt die viszerale Realität eines Protestes anderswo in virtuelle Spektakel, die ein Gefühl von Distanz und Apathie erzeugen. Indem sie sich klassische dramaturgische Mittel wie Kitsch, Ironie und Übertreibung zu eigen macht, reflektiert Noori ihre persönliche, aus der Diaspora stammende Erfahrung, politischen Ereignissen aus der Ferne beizuwohnen – eine Erfahrung, die von Voyeurismus, Paralyse, Unruhe und Sehnsucht geprägt ist. Für die Künstlerin traten diese Gefühle erstmals während der Jina-Amini-Proteste gegen die Islamische Republik Iran auf, doch sobald sie sich zu einem emotionalen Klima verdichten, werden sie auf andere Kontexte beziehbar, oder sogar übertragbar. Das Echo des Aufruhrs im Gefolge jeder Widerstandsbewegung mag weite geografische Entfernungen überwinden, doch das Echo selbst ist nur ein Geisterbild, eine traumatisierte Ruine, eine Abstraktion des kollektiven politischen Verlangens, die von den gelebten Erfahrungen des Kampfes um Selbstbestimmung und Emanzipation getrennt ist. Die Ausstellung ist sowohl ein Denkmal für diese unheilbare Trennung als auch eine Echokammer. Sie fordert uns auf, mit Bedacht zuzuhören und nach dem zu suchen, was von uns übrig bleibt, wenn die Empathie erschöpft ist und das Leben weitergeht. 



Die Synthesizer-Klanglandschaft (quadrophonischer Sound, 30 Minuten) ist eine Transkription der Emotionen, die im Zusammenhang mit Demonstrationen entstehen. Durch den bewussten Verzicht auf Samples oder Aufnahmen hat Noori eine abstrakte Simulation der unendlich vielen Klänge, Rhythmen, Geräusche, Zusammenstöße und Rufe geschaffen, die die psychoakustische Realität politischer Proteste ausmachen. Die Klanglandschaft besteht aus einer Vielzahl indiskreter Schichten; sie fordert von uns ein tiefes Eintauchen – einen Kopfübersturz in ihre intensive ozeanische Totalität, ähnlich dem Gefühl, sich mitten in einem Protest zu verlieren. Doch wie Noori betont, ist das, was wir hören, nur eine synthetische Abstraktion, ein verzerrtes Echo, das ständig von seiner Quelle flieht. 

Drei Rollbahnschilder in leuchtendem Gelb und Rot tragen die Worte eines poetischen Fragments, das in Nooris vergangenen Projekten immer wieder auftaucht – in ihren Schriften, Performances und ihrem Gesang seit vielen Jahren. Die Schilder wirken wie eine Parodie auf Wegweiser, Warnungen, Schlagzeilen und Protestparolen. Gleichzeitig sind sie auch eine Selbstparodie der Künstlerin, die zwar am Kampf teilnehmen möchte, aber durch ihre privilegierte Distanz machtlos bleibt. Die Fragmentierung des Gedichts eröffnet unerwartete Lesarten und erzeugt ambivalente Bedeutungen, die sowohl ironisch als auch tragisch wirken. Wie kann ein Wort auf dem Höhepunkt politischen Aufruhrs als Leuchtfeuer dienen, das einem vertriebenen Volk den Weg nach Hause weist?

MY HEAVY HEARTED HEAVY HOME
WALKS ON HEAVY HEARTED HEAVY FEET
MY HEAVY HEARTED HEAVY HOME
IS HEAVY HEARTED HEAVY SWEET

بیزارم hat auf Farsi mehrere Bedeutungen: „Ich bin müde“, „Ich bin es leid“, „Ich hasse“. Diese Phrase – ein weiteres Leitmotiv in Nooris Arbeit – wird in ein schwarzes Acrylobjekt verwandelt, das wie ein Geist im weißen Treppenhaus schwebt. Die stummen Gefühle der Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit der anonymen Massen betreten die Bühne. Ihre Müdigkeit bekommt einen Körper, wie der Körper eines Fremden, an dem man vorbeigeht, ohne ihn zu sehen. Diese belasteten Worte projizieren sich in die Leere wie ein erstickter, übertönter Schrei, der auf eine unmögliche Antwort wartet, die die Verletzung beheben wird.

​Draußen auf den Straßen antwortet eine zweite Wortskulptur von einem entfernten Ort. Nooris Fensterinstallation THE PARTY OF GOD, WELL DID WE LIVE im Restaurant Nobelhart & Schmutzig in der Friedrichstraße ist als Erweiterung der Ausstellung des CCA Berlin konzipiert, ein Echo auf THE ECHO. Dort erscheint معذرت, das Farsi-Wort für „Es tut mir leid“, in leuchtend gelbem Acryl vor einem Hintergrund aus grünen Vorhängen. Es handelt sich um eine radikale Neugestaltung der grün-gelben Hisbollah-Flagge, die ein hysterisches, unerträgliches Szenario darstellt, in dem sich die Machthabenden entschuldigen – d. h., unter einer Flagge regieren, die vergangene Verfehlungen einräumt – und versprechen, es dem Volk recht zu machen. Welch Ironie, dass politische Gerechtigkeit für die einen ein Hirngespinst bleibt, während sie für die anderen eine Selbstverständlichkeit ist. Wie können wir uns davon distanzieren, eine Art von Hoffnung widerhallen zu lassen, die gleichzeitig Waffe und Illusion ist?

Kuratoren: Fabian Schöneich mit Nan Xi
Produktion: Franz Hempel

Gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Im Rahmen der Berlin Art Week. 

Die Ausstellung wird in Zusammenarbeit mit Auto Italia, London realisiert, wo sie im April 2025 zu sehen sein wird. Anlässlich der Ausstellung erscheint ein Künstlerinnenbuch bei Spector Books
 

Nazanin Noori im Tonstudio bei Callie's, Januar 2024. Foto: Will Jivcoff.

Nazanin Noori (geb. 1991) ist eine Künstlerin, die in Berlin lebt und arbeitet. Ihre interdisziplinäre Arbeit umfasst Klangkunst, Live- und Lecture-Performance, Installation, Regie und Text. Ihre jüngste Soundarbeit HAAL wurde von Deutschlandfunk Kultur in 2022 in Auftrag gegeben. Ihr Debütalbum FARCE wurde 2020 veröffentlicht. Im selben Jahr war sie Artist-in-Residence an der Jungen Akademie der Künste in Berlin. Nazanin Nooris Sound- und Rauminstallationen waren im EIGEN + ART Lab, in der Akademie der Künste und als Teil der Transmediale zu sehen. Ihre Sound-Performances wurden unter anderem bei den Berliner Festspielen, in der Villa Massimo, in der Halle am Berghain, im Haus der Kulturen der Welt, im Museum Angewandte Kunst, im Schauspielhaus Zürich und als Teil von CTM aufgeführt. Ihre Theaterarbeiten wurden am Deutschen Theater und am Berliner Ensemble aufgeführt. Ihre Klangszenarien wurden in verschiedenen Radiosendern in Afrika, Asien, Amerika und Europa präsentiert, darunter Refuge Worldwide, Mutant Radio und Deep House Tehran. Nazanin Noori ist außerdem Teil des Improvisations-Trios Parvaresh/Noori/Zahedi und tritt als Modularsynthetistin und Vokalistin auf, neben der Bassklarinettistin und Klarinettistin Shabnam Parvaresh und Azin Zahedi, die Santoor, Bansuri und Flöte spielt.