Jota Mombaça
A CERTAIN DEATH/THE SWAMP

Jota Mombaça, A CERTAIN DEATH/A SWAMP, Ausstellungsansichten, CCA Berlin, 2023. Fotos: Diana Pfammatter/CCA Berlin

Apokalyptische Brüche suchen uns heim. Ihre Spuren finden sich im ausgelaugten Boden jamaikanischer Zuckerplantagen; längs der ozeanischen Route der Mittelpassage bis zu den Binnengewässern Nordamerikas; an den senegalesischen Küsten der Insel Gorée und noch viel weiter oben, zwischen den verlassenen Maschinen einer Zinkmine südöstlich von Algier; auf den Dachziegeln eines abgerissenen palästinensischen Ahnenhauses in Jaffa; als radioaktive Partikel in der Luft über Hiroshima, in Richtung des Maralinga-Testgeländes in den entlegenen westlichen Gebieten Südaustraliens. Wo auch immer die koloniale Moderne und ihre kapitalistischen Produktions- und Aneignungsweisen an Land gingen—also überall—, kam es bald zu unmerklichen oder zugleich auch eklatanten Brüchen, die sich zu einer permanenten Krise des planetarischen Lebens selbst auswuchsen. Der amerikanische Soziologe und Philosoph W.E.B. Du Bois (1868–1963) veröffentlichte die meisten seiner kurzen fiktionalen Texte im Gefolge der amerikanischen Reconstruction sowie ihres Scheiterns, die weiße Vorherrschaft zu beseitigen, was die amerikanische Historikerin Saidiya Hartman als das „Nicht-Ereignis der Emanzipation“[1] bezeichnet. In seinen spekulativen Schriften lud Du Bois dieses Nicht-Ereignis mit apokalyptischen Visionen und biblischen Bildern auf—ein Mittel, um eine Zeit und einen Ort aufzuzeichnen, welche sich von der Knechtschaft lossagten, sich aber weiterhin durch die Unfreiheit der Schwarzen formten und es wiederum ermöglichten, „die Idee der Apokalypse von der weltumspannenden Verwüstung auf die Bedingungen des täglichen Lebens zu verlagern.“[2]

Auch Jota Mombaça wird von der Apokalypse heimgesucht. Es ist jedoch schwer zu sagen, in welche Richtung sie blickt oder gerufen wird.  Der Spuk ist multidirektional und kreuzt ausgetretene und unbekannte Pfade. Die in Natal, Brasilien geborene Künstlerin, Performerin und Autorin setzt sich mit den Trümmern—ihrer Existenz und ihrer Eventualität—in ähnlicher Weise wie Du Bois auseinander: weder in Angst noch in Begeisterung, sondern vielmehr in der Erkenntnis, dass die Gegenwart bereits mit Bedingungen gesättigt ist, die von vergangenen und künftigen Apokalypsen hervorgerufen wurden und ihre wie unsere Aufmerksamkeit erfordern. Durch und gegen diese gegenwärtigen Bedingungen, die Mombaça als „Zustände des erzwungenen Wartens“[3] bezeichnet, soll ihre Arbeit einen reflektierten Raum für Trauer bieten. Trauern bedeutet hier, sich gleichzeitig um das zu kümmern, was verloren gegangen ist und was noch zurückgewonnen werden könnte. Für die Künstlerin bedeutet dies, die Zeit des transatlantischen Sklavenhandels in die geologische Zeit[4] auszudehnen—die Umweltveränderungen, die wir heute registrieren, laufen bereits seit der (anhaltenden) Ausrottung der indigenen Lebenswelten unaufhörlich. Dieser Prozess der Ausdehnung erfordert eine Art Zeitreise, eine Umgehung der Gesetze der Physik. Er kann sich nur durch performative Gesten, kritische Fabulationen und Materialexperimente manifestieren, die alle charakteristisch für Mombaças ästhetische und diskursive Praxis sind.

A CERTAIN DEATH/THE SWAMP—die Ausstellung der Künstlerin im CCA Berlin – Center for Contemporary Arts—wurde zunächst in langen Gesprächen über die merkwürdige Topografie Berlins konzipiert, das vermutlich vollständig auf trockengelegten Feuchtgebieten liegt. Vom Sumpf zur Stadt entsteht eine Teleologie des Fortschritts, eine Strategie zum Überleben. Mit Blick auf die verheerenden Überschwemmungen von 2021, die Regionen in Belgien, Deutschland und den umliegenden Ländern heimsuchten, beschwört Mombaça dann eine Umkehrung herauf—Was ist mit Städten, die sich wieder in Sümpfe verwandeln? Was ist mit dieser Form der Auflösung, vor der die Faschisten im 20. Jahrhundert Angst hatten? („Drenare la palude!“, rief einst ein entschlossener Benito Mussolini) Von Berlin aus richten wir unseren Blick auf ein planetarisches Dilemma, nämlich, die atmosphärischen Phänomene aus den verschiedensten Geographien, die immer wieder zu kollabieren drohen. until the last morning (2023), eine neu in Auftrag gegebene Videoarbeit, wurde in den Mangroven und Sümpfen von Pará im brasilianischen Amazonasgebiet gedreht. Diese Mangroven und Sümpfe, die etwa 700.000 Hektar bedecken, sind auf einen ständigen Zufluss von Süßwasser aus Regenfällen und den Flüssen von Guajará Bay angewiesen. Zu diesem Zweck schwenkt die Kamera in den Himmel, um Wolkenformationen sowie ihre Bewegungen und Manöver zu beobachten. Das Überleben des Ökosystems hängt von dieser unvorhersehbaren Choreografie ab. Die Beobachtung des Wetters ist somit eine Vorhersage, ob eine Linie der Kontinuität in die Zukunft gezogen werden kann.

Die amerikanische Autorin Christina Sharpe bringt die Sklaverei und die monströsen antischwarzen Regime, die sie hervorbrachten, mit dem Wetter in Verbindung: „Die Sklaverei war nicht singulär; sie war vielmehr eine Singularität—ein Wetterereignis oder -phänomen [...] Das Wetter erfordert Veränderlichkeit und Improvisation; es ist die atmosphärische Bedingung von Zeit und Ort; es bringt neue Ökologien hervor.“[5] In Anlehnung an das Wetter schaffte Mombaça Keramikgefäße, beziehungsweise Regenfänger, die einen Monat lang auf dem Grund des Waldsees versenkt wurden, bevor sie wieder herausgeholt wurden. In ihrer amorphen Form sind die Gefäße nun Träger von Wasser und seinen Eigenschaften. Mit diesem Akt des Untertauchens, den die Künstlerin als „elementare Besessenheit“ bezeichnet, wird das Wasser eingeladen, sich zu bemächtigen. Auch die schlammige Erde scheint alle Ecken des Ausstellungsraums zu überschwemmen und droht, ihn ganz zu verschlingen. Textilien mit Tonabdrücken schweben willkürlich über dem Boden, auf denen unleserliche Markierungen eingraviert sind. Das einzige Stück Text, das man entziffern kann, lautet: „Ja, ich habe Angst [Yes, I’m afraid].“ anticipation (at dawn) (2023), ein Gemälde aus Kohle und Pigmenten, inszeniert eine in der Übersetzung verlorene Weltlandschaft.

Indem sie sich von Berlin in den brasilianischen Amazonas und wieder zurück bewegt, so wie Wasser im Flussbett und an den Ufern eines Kanals fließt, versucht Mombaça, ein totales Klima zu erfassen. Man könnte sagen, dass sie lernt, eine Passantin zu werden, die die Welten wie ihre Unterschiede navigiert, aber auch innerhalb der Singularität unseres kollektiven Schicksals. Der kamerunische Theoretiker und Autor Achille Mbembe erinnert uns daran, dass „von einem Ort zum anderen zu gehen auch bedeutet, mit jedem einzelnen von denen eine doppelte Beziehung von Solidarität und Distanz zu weben“[6]. Indem er im Dialog mit Frantz Fanon und Édouard Glissant eine „Ethik der Passanten“ entwirft, erklärt er, dass von einem Ort in einem anderen zu sprechen bedeutet, allen Orten gemeinsam anzugehören, eine Welt zu bewohnen in Beziehung[7], in der alle Ereignisse auch anderswo ihren Widerhall finden.

Text: Edwin Nasr

[1] Saidiya Hartman, Scenes of Subjection: Terror, Slavery, and Self-Making in Nineteenth-Century America (Oxford University Press, 1997)
[2] Autumn Womack, “W.E.B. Du Bois’ Apocalyptic Ambivalence” in American Literature and Culture (2020)
[3] In Anlehnung an Ola Hassanain und Egbert Alejandro Martina, Architectures of the (Un)inhabitable (Disembodied Territories, 2021)
[4] Siehe: Kathryn Yusoff, A Billion Black Anthropocenes or None (University of Minnesota Press, 2018); Denise Ferreira da Silva, Unpayable Debt (Sternberg Press, 2022); Jota Mombaça, “Cognitive Plantation” in Afterall Journal (2020); und Sylvia Wynter, “Novel and History, Plot and Plantation” (1971).
[5] Christina Sharpe, In the Wake: On Blackness and Being (Duke University Press, 2016)
[6] Achille Mbembe, Necropolitics (Duke University Press, 2019)
[7] Édouard Glissant, Philosophie de la Relation (Gallimard, 2009)

Jota Mombaça ist eine interdisziplinäre Künstlerin, deren Arbeit sich aus Poesie, kritischer Theorie, Queer Studies, politischer Intersektionalität, antikolonialer Gerechtigkeit und der Umverteilung von Gewalt entwickelt. Mombaça definiert sich selbst als trans, rassifizierte Bicha, geboren und aufgewachsen in Natal im Nordosten Brasiliens. In den letzten Jahren hat Mombaça die Beziehung zwischen Monstrosität und Menschlichkeit und die Spannungen zwischen Ethik, Ästhetik, Kunst und Politik in den Wissensproduktionen des globalen Südens untersucht. Durch Performance, kritische Fabulationen und situative Strategien der Wissensproduktion will die Künstlerin das Ende der Welt, wie wir sie kennen, proben und darüber spekulieren, was kommt, nachdem wir das modern-koloniale Subjekt von seinem Podium verdrängt haben. Ihre Arbeiten wurden in verschiedenen institutionellen Rahmen präsentiert, z. B. Biennale de Venezia (2022), der 32. und 34. São Paulo Biennale (2016 und 2020/2021), der 22. Sydney Biennale (2020), der 10. Berlin Biennale (2018) und dem 46. Salon Nacional de Artistas in Kolumbien (2019) sowie im Rahmen von Ausstellungen und Programmen der Serpentine Galleries, London; Haus der Kulturen der Welt (HKW), Berlin; Madre Napoli; de Appel, Amsterdam; und dem Museu d'Art Contemporani de Barcelona (MACBA). Mombaca ist derzeit als Stipendiatin der Mercator Stiftung an der Freien Universität Berlin tätig.

Projekt in Partnerschaft mit der Calouste Gulbenkian Foundation - Delegation in Frankreich als Teil des PARTENARIATS GULBENKIAN Programms zur Unterstützung portugiesischer Kunst in europäischen Kulturinstitutionen.

 

Im Rahmen der Berlin Art Week.